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Wolfgang-Andreas Schultz

Giorgione: Tempesta (1508)

Zwei Fantasien für Klavier

Das Bild „Tempesta“ von Giorgione (eines der rätselhaftesten Gemälde der Renaissance) zeigt im Vordergrund links einen stehenden Mann, der zu einer rechts im Vordergrund auf einer Decke sitzenden Frau blickt, die ihr Kind stillt und den Betrachter anschaut. Im Hintergrund eine Landschaft – ein Fluß mit einer Holzbrücke, Bäume und Häuser, über der sich ein Gewitter mit einem aus dunklen Wolken zuckenden Blitz entlädt. Das Stück beginnt zunächst nur mit Atmosphäre und Klang, im heraufziehenden Gewitter werden die Themen des Mannes und der Frau vorgestellt und zu einer Geschichte ausgesponnen, genau so rätselhaft wie das Gemälde.

Die zweite Fantasie stellt zunächst einen verzweifelten Menschen vor, der – aus der Ferne herüberklingend – eine Sterbeglocke, bzw. ein Lied von Schubert vernimmt: „Das Zügenglöcklein“ (nach einem Gedicht von Johann Gabriel Seidl), dessen erste Strophe lautet:

Kling' die Nacht durch, klinge,
Süßen Frieden bringe,
Dem, für wen du tönst!
Kling' in weite Ferne,
So du Pilger gerne
Mit der Welt versöhnst!

Die Musik öffnet sich schließlich zu einer jenseitigen Landschaft, in der sich die Themen (das des verzweifelten Menschen und das des Schubert-Liedes) allmählich auflösen.