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Wolfgang-Andreas Schultz

Achill unter den Mädchen

Oper in einem Akt nach einem Libretto von Hanns-Josef Ortheil


Plakat zur Uraufführung am 5. Juli 1997 in Kassel.

Eine Buffo-Oper, aber leider ohne Happy End, die zwei Geschichten der Antike miteinander verschränkt: die des als Mädchen verkleideten Achill auf der Insel Skyros und die von Acis und Galatea. Kern ist die Frage nach Leitbildern für heranwachsende junge Männer. Nicht nur hat die Frauenbewegung alte Rollenbilder in Frage gestellt, auch die Tatsache, daß die Erziehung von Jungen überwiegend in den Händen von Frauen liegt, macht die Suche nach einer Rollenidentität als Mann zu einem aktuellen Problem.

Personen:

Lycomedes, König auf der Insel Skyros (Baß); Deidamia, seine ältere Tochter (Mezzosopran); Nerea, seine jüngere Tochter (Koloratursopran); Achill, als Mädchen verkleidet, unter dem Namen Pirrha (Countertenor/Altus); Odysseus (Bariton); Phönix, sein Begleiter (Tenor); 1. Mädchen (Mezzosopran); 2. Mädchen (Sopran); 3. Mädchen (Sopran); kein Chor.

Orchester:

2.2.2.1– 2.2.2.0 – Hrf.Klav – Pk.2Perc – Streicher (6.6.4.4.3) – Bühnenmusik: Vla d'amore, 3 Tomtoms

Dauer:

etwa 100 Minuten, 1 Bühnenbild

Verlag:

Astoria/Schott

 

Entstanden 1993-95, Uraufführung am 5.7.1997 in Kassel

Die Ausgangs-Situation: Aufgrund eines Orakelspruchs, daß Achill in einem Krieg fallen würde, haben die Eltern, um dies zu verhindern, den Jungen als Mädchen verkleidet auf der Insel Skyros versteckt. Dort wächst er zusammen mit den beiden Töchtern des Königs Lycomedes auf.

Der Grundkonflikt: Achill ist nun herangewachsen und hat sich in Deidamia verliebt. Ihr gegenüber möchte er gern Mann sein dürfen; er ist auf der Suche nach seiner Identität als Mann, während er Fremden gegenüber das Mädchen spielen muß, um nicht entdeckt zu werden.

Die Handlung: Odysseus weiß (ebenfalls durch einen Orakelspruch), daß er ohne Achill den trojanischen Krieg nicht gewinnen kann. Bei seiner Suche nach Achill kommt er auch auf die Insel Skyros. Dort hat gerade Pirrha Deidamia gedrängt, ihn doch Achill zu nennen – sie warnt ihn und erinnert an den Spruch des Orakels. Nerea ist hinzugekommen, neckt und stichelt, was Deidamia in Unruhe versetzt angesichts der Tatsache, daß Lycomedes sich mit zwei Fremden nähert.

Umständlich zeremoniell begrüßt Lycomedes die Fremden, während Odysseus, der kluge Stratege, gleich auf den Punkt kommt und nach Achill fragt, sein Begleiter Phönix sich aber nur für die Mädchen interessiert. Odysseus vermutet, daß Deidamia ihm weiterhelfen kann, schmeichelt ihr und macht ihr den Hof: damit wird er für Achill einerseits zum bewunderten Vorbild im Umgang mit Frauen, andererseits zum Konkurrenten. Aber Odysseus kommt nicht recht voran; und so wird der Vorschlag, ein Bad im Meer zu nehmen, gern aufgegriffen. Pirrha gibt vor, sich nicht wohl zu fühlen, und Odysseus, der schon ahnt, daß sie der Gesuchte ist, beschließt ihr Gesellschaft zu leisten.

Odysseus, dem es nicht nur darum geht, Achill zu enttarnen, sondern vor allem, ihn in die Männerrolle (und das ist für ihn die Kriegerrolle) einzuführen, greift zu einer Doppelstategie: einerseits wirbt er als erfahrener Mann um das Mädchen Pirrha, andererseits erzählt er vom Krieg und von der griechischen Flotte, was Pirrha/Achill völlig durcheinander bringt – sie läuft weg, zum Hafen, und Odysseus ist sich jetzt sicher, Achill gefunden zu haben.

Deidamia, Nerea und Phönix kommen vom Baden zurück. Nerea gibt dem zudringlichen Phönix Benimm-Unterricht, während Deidamia nach Achill Ausschau hält, ihm dann zum Hafen folgt, um ihn vor dem schlimmsten Fehler zu bewahren. Man beschließt, sich die Zeit bis zum Abendessen mit Tanz und einem improvisierten Theaterspiel zu verkürzen. Odysseus schlägt die Geschichte von Acis und Galatea vor – Nerea kennt sie nicht; Phönix erklärt sie ihr auf seine Weise.

Deidamia und Achill kommen vom Hafen zurück. Mit Erschrecken bemerkt Deidamia seine Verwandlung: wie er vom Krieg spricht, wie er sie machohaft bedrängt, ungeschickt und übertrieben sein Idol Odysseus imitierend. Sie fürchtet um ihre Liebe. Beim Tanzen mit Deidamia schürt Odysseus Achills Eifersucht, dann fordert er Pirrha zum Tango auf und überläßt ihr die Männerrolle. Die Theatervorstellung wird vorbereitet, und scheinbar absichtslos verteilt Odysseus die Rollen so, daß Deidamia die Galatea, aber Pirrha/Achill den Acis spielen soll, so daß das Theater-Paar zugleich das wirkliche Liebespaar ist. Odysseus selbst will den Polyphem spielen und dabei Achill durch die längst vorhandene Eifersucht drängen, der Mann zu sein, den er jetzt nur spielt. Natürlich verliert Achill rasch die Distanz zu seiner Rolle, er nimmt die Herausforderung von Odysseus an, die wahren Gefühle brechen durch, vor aller Augen gibt er sich als Mann zu erkennen und wirbt als Achill um Deidamia. In diesem Moment, wo er endlich er selbst sein darf, hat er zugleich sein Glück zerstört: er weiß, daß er Odysseus nun in den Krieg folgen wird.

Die Schlußszene läßt die beiden Handlungen poetisch ineinanderfließen. Deidamia weiß, daß es ein Abschied für immer ist, für sie stirbt Acis/Achill. Ihre Vision des brennenden Troja läßt ahnen, was die Männer mit ihrer Krieger-Mentalität anrichten werden.

Die Musik: Die Charakterisierung der Personen setzt ähnlich an wie Peter Brook in seiner berühmten Inszenierung von Shakespeare's „Sturm“: Elemente aus verschiedenen Kulturen werden zur Charakterisierung benutzt, aber nicht als Collage, sondern eingebettet in einen symphonischen Zusammenhang.

Lycomedes, immer förmlich und zeremoniell, etwas weltfremd und zerstreut, tritt auf mit Klängen, die an das japanische Hoforchester „Gagaku“ erinnern. Deidamias Musik ist aus indischen Ragas entwickelt, während ihre jüngere, ziemlich konventionelle und etwas oberflächliche Schwester sich operettenhaft gibt. Phönix, der Möchte-gern-Macho, drückt sich in Versatzstücken der Popmusik aus. Odysseus wirkt in seiner oft atonalen Sprache unterkühlt und hart, beherrscht und souverän. Achill ist in bitonalen Strukturen gespalten, und nähert sich, je mehr er der von Odysseus verkörperten Männerrolle nachlebt, dessen Musik an.

Die beiden spionierenden Mädchen, die die Handlung kommentieren, sie aber oft nicht ganz verstehen, benutzen ein wenig spanisches Kolorit und eine naive Diatonik. Beim „Spiel im Spiel“ begleitet eine Viola d'amore in einer gleichsam rokokohaften Szenerie, aber das Orchester tritt immer dann mit Reminiszenze der wirklichen Geschichte hinzu, wenn die Spieler die Distanz zur Rolle verlieren und ihre wahren Gefühle ausdrücken, die schließlich die Überhand gewinnen.